Verblasst, aber nicht vergessen

Neues Jahr, neues Glück. Ich habe schon lange nichts mehr geschrieben. Der Übergriff drängt sich immer mehr in die hinteren Hirnhälften. Das fühlt sich gut an. Klar, noch immer drehe ich mich, wenn es dunkel ist, besorgt um, und schaue, wer hinter mir läuft. In diesen Momenten wird es wohl nie verschwinden. Aber ich habe nicht mehr jeden Tag diese Bilder, die durch meinen Kopf schießen wie durch einen Diaprojektor. Es verblasst – und doch bleibt es nicht vergessen.

Gerade wenn solche Meldungen bekannt werden, wie dieser Tage:  Dutzende Männer haben mindestens 100 Frauen in Köln belästigt, eine Frau wurde sogar vergewaltigt. Fassungslos macht mich das. Und dann der Mega-Tipp der Bürgermeisterin: Man solle doch als Frau schon nicht die Nähe suchen, und eine Armlänge Abstand halten, von Menschen, die man nicht kenne. Bei solchen Aussagen kocht es in mir.

Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion entwickelt, was die Polizei noch ermitteln wird. Die Frage, die für mich, wie auch in dem Kölner Fall, offen ist: Welche Motivation steckt hinter so einer Tat?

Weniger Alarmglocken

Ich bin gerade in einer Phase, in der ich anfange nachzuspüren, wo noch Beklemmungen sind, und wo ich auch wieder loslassen kann. Heute war wohl eine der schwierigsten Hürden. Ich war bei der Physiotherapie wegen meiner Schulter. Und die Massage hat ein Mann gemacht.

Halte ich das aus?, fragte ich mich, als ich im Sessel im Warteraum saß, der besser Warteflur geheißen hätte, denn die Praxis war klein. Vom Flur ging ein kleiner Empfangsraum ab, von dort dann das Behandlungszimmer. Voilà. Empfangen wurde ich von einem redseligen Mann, der mich herzlich begrüßte. Einen Tick überschwänglich aber freundlich. Eine Ein-Mann-Praxis hier konnte ich nicht mehr nach einer Frau fragen, die mir gerade bei meiner Therapie so wichtig war. Nie hätte ich mir vorstellen können, mich einem Mann mit diesem Thema zu öffnen.

Aber hier hatte ich keine Wahl, nur einen Termin. Ich wusste, dass ich halbnackt auf einer Liege liegen würde, und er dafür sorgen sollte, meine Schultermuskeln zu entspannen, die sich völlig verkrampft hatten, mir gerdazu den Kopf einfroren. Ich wusste, er würde mich berühren.

In meinem Kopf musste ich an diese Nacht denken, ich konnte es nicht ausblenden.

Als er anfing, über meine Muskeln zu streichen, na mehr zu drücken, fühlte ich nach, was es mit mir machte. Aber es war okay, wirklich. Ich habe mich okay damit gefühlt, nicht unsicher. Habe keine Panik geschoben. Ich würde nicht sagen, dass ich völlig loslassen konnte, aber allein keine Panik zu schieben, finde ich, ist ein Schritt nach vorn. Nach und nach schalte ich in verschiedenen Alltagssituationen die Alarmglocken aus. I like!

Schon am Freitag hatte ich eine ähnliche Situation beim Friseur. Peggy, zu der ich sonst immer gehe, war krank, und stattdessen bat mich ein Mann, auf den Stuhl vor dem Spiegel Platz zu nehmen. Mist!, dachte ich. Das Schneiden, das war es gar nicht, wovor ich mich gefürchtet habe, es war das Haare waschen.

Während er leicht meinen Kopf massierte, horchte ich in mich hinein: War das okay? Was passiert mit dir, wenn er dich berührt? Aber es war okay. Und schon das war ein gutes Gefühl.

Nach dem Physiotherapeuten heute glaube ich wirklich, ich bin auf einem guten Weg, mich wieder sicher zu fühlen.

 

Herbstanfang

Jetzt kann man wirklich nicht mehr von Sommer sprechen. Irgendwie möchte ich nie, dass er zu Ende geht  – in diesem Jahr besonders. Mit dem Sommer war für mich mehr Helligkeit verbunden. Mehr Sicherheit, weniger Nacht, die so oft bedrohlich schien.

Nun merke ich jeden Tag, wie viel früher es dunkel wird. Und ich spüre in mir die Angst, dass mit der stärkeren Dunkelheit auch diese Nacht wieder in wächst; diese Nacht, die zurzeit wie ein verschwommenes Bild abgelegt zu sein scheint.

Erst vor wenigen Tagen war diese Nacht wieder Thema in meinem Träumen. Ich lief in einem Ballkleid durch eine Einkaufspassage, ein langer Schlauch, gefliest mit hellen Platten. Plötzlich steuert ein älterer Mann auf mich zu, greift mir ins Dekolleté als würde ihm mein Aufzug eine Erlaubnis erteilen. Ich weine nicht, breche nicht zusammen, sondern schreie ihn an: „Tickst du noch richtig?“, brülle ich. Laufe weiter, an Menschensilhouetten vorbei, die sich nicht wohlwollend anfühlen.

Als ich aufwache weiß ich, dass in mir Stärke wächst.

Aufwärts in der Metro

In der U-Bahn fiel es mir wieder ein. Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Ein normaler Morgen. Wie immer stieg ich ein in einen der Waggons, weiter vorne, wie immer drängten sich dort Menschen, alle mit dem gleichen Ziel. Vielleicht war es die plötzliche Dichte in dem Wagen, die mich erinnern ließ, aber auf einmal durchschoss mich ein Gedanke: Ich habe schon lange nicht mehr für meinen Blog geschrieben, dachte ich. Gefolgt von einem inneren Jubelschrei: Für wenige Wochen habe ich nicht mehr an diese Nacht gedacht. Ja, diese Bilder der Nacht waren nicht mehr so präsent.

Es war ein starker Moment, der mir endlich das Gefühl gab, dass ich Fortschritte machte. Sicher, gleichzeitig hieß es auch, dass die Nacht wieder in mein Bewusstsein schoss, aber ich fühlte mich auf dem richtigen Weg.

Tal der Tränen

Ich weiß auch gerade nicht, was die Tränenlawine losgetreten hat. War auf dem Geburtstag eines Freundes, wie jedes Jahr regnet es an seinem Ehrentag, und wie jedes Jahr feiert er ohne Kompromisse im Park. Hartnäckig der Kerl, aber so liebenswürdig. Ich bin jedes Mal skeptisch und doch wird es immer ein wunderschöner Abend. Dieses Jahr, zum 34.. direkt an einem kleinen Ententeich, mit Feuerstelle, viel Alkohol. Wie immer in netter Gesellschaft, eben wenn Freunde zusammen sitzen. Und natürlich hat es wie jedes Jahr nicht mehr groß geregnet und es war einfach schön.

Dann ging es ums nach Hause fahren, habe kurz auf dem Handy einer Freundin geschaut, ein bisschen komplizierter Weg von dort zu mir, aber alles kein Problem. Nachts braucht man eben länger. Plötzlich wollte ich nur noch weg. Habe meine Freunde umarmt, und schon ein Kloß im Hals gehabt, beim Geburtstagskind hatte ich schon hohen Wasserstand.

„Alles ok“, sagte ich. „Kein Problem.“ Ich wollte stark sein. Ich schaffe es allein durch den dunklen Park bis zur Straßenbahn. Wollte wirklich stark sein. Doch meine Freunde, haben null gezögert. Ohne Fragen zu stellen, haben sie gleich reagiert. Zwei haben mich bis zur Hauptstraße gebracht und mich in ein Taxi gesetzt. Ich habe einfach nur geweint. Ich fühle mich wie in DIESER Nacht, sehe die Bilder so präsent vor mir, als sei es gerade passiert: Wie er mir unter mein Kleid greift, es hoch reißt und einfach versucht mich zu ficken. Ich kann überhaupt nicht aufhören zu weinen, wie damals in den ersten Tagen danach. Ich weiß nicht, wieso es ausgerechnet heute passiert. Hatte einen wunderschönen Mädelstag, frühstücken, baden gehen, ins Gewitter kommen, pitsche nass zu Hause reinschneien, quatschen und zu einer Geburtstagparty gehen – alles ganz entspannt. Und nun rollen die Tränen, und ich kann einfach nicht aufhören zu weinen. Alle Bilder von dieser Nacht werden hochgespült.

Fahrradgeschwindigkeit

Seit kurzem habe ich ein Fahrrad. Tolle Sache. Besonders bei kurzen Strecken kommt man doch schneller voran, als wenn man bis zum Bahnhof laufen, auf den Zug warten , und die kurze Strecke fahren würde. Und es hat noch einen anderen Vorteil: Niemand kann hinter mir im Windschatten laufen.

Ich weiß noch, als ich das erste Mal nach dem Übergriff Fahrrad fuhr. Jedes Auto, das von hinten an mir vorbeidüste, war eine Tortur. Mit Tränen in den Augen war ich damals das letzte Stück bis zum Restaurant gefahren. Dieses Mal gab mir das Fahrrad Sicherheit. Schnell konnte ich jeden hinter mir lassen.

Nun gut, an einer engen Stelle, wo ich mich zwischen einem parkenden Auto und einem Hauseingang durch schlängeln musste, hatte ich für einen kurzen Moment das Bild vor Augen, wie es wäre, wenn mich jetzt jemand auf den Boden reißen würde. Ein Tritt und Peng. Dann würde mir das Fahrrad gar nichts bringen.

Doch als der Bürgersteig wieder breiter wurde, konnte ich das Bild aus meinem Kopf verbannen. Nach wenigen Minuten war ich schon zu Haus und hinter der Eingangstür verschwunden.

Stocksteif

Mit einem leckeren Borrito in der Hand schlendern wir nach Hause – mein Freund und ich. Es ist Feierabend – endlich. Schon nach 21 Uhr. Wir sprechen über die Arbeit, über die Fifa, und wie es wohl weiter geht mit Blatter. Wird er wieder gewählt werden? Muss er zurücktreten?

Er hat mich vom Zug abgeholt, weil er morgen für zwei Wochen auf Dienstreise muss. Letzte Zweisamkeit. Wir sind schon fast bei unserem Hauseingang angelangt, noch einmal um die Ecke biegen. Mein Freund macht einen Schritt hinter mich, will etwas in den Mülleimer am Bordsteinrand schmeißen. Mein Kopf dreht sich von links nach rechts, er ist aus meinem Blickfeld verschwunden.

Plötzlich schlägt etwas in meine Kniekehlen. Ich schreie laut, mache einen Satz nach vorn, mir schießen Tränen in die Augen. Er nimmt mich sofort in den Arm. Unter dem Mülleimer lag ein langer Stock, in dem er sich verhangen hat, wodurch der an meine Beine schlug. Man ey! Manchmal gibt es auch komische Situationen, die einen herausfordern.

Erwachte Wut

In mir löst sich etwas. Ungewohnte Wut steckt in mir und ich kann sie nicht darauf fokussieren, wohin sie gehört. Bluffe meinen Freund an, wie ich es noch nie getan habe. Es tut mir leid. Ich weiß einfach nicht wohin mit all der zerstörerischen Kraft, die in mir aufsteigt. Ich glaube, dass es mit dem Übergriff zusammenhängt und nun eine Phase beginnt, in der ich die Gefühle zulasse, die ich hätte damals spüren sollen und nicht konnte. Eigentlich gut.

Gestern hatte ich einen Traum. Ich war in dem Bezirk, in dem ich aufgewachsen bin und doch an einem Punkt, an dem ich keine Orientierung hatte. Ich fragte nach dem genauen Ort, an dem ich gewohnt hatte und ein Passant zeigte mir die Richtung, und auf einen Weg, der mich direkt dort hinführen würde.

Ein schmaler Gehweg, umgeben von Bäumen, fern von Verkehrsstraßen. Ein betonierter Weg, der sich durch ein Wohngebiet zieht. Bei Tageslicht ein einladender Pfad, jetzt in der Dämmerung flößte er mir Angst ein. Bedenken, ob ich ihn tatsächlich nehmen sollte. Ich fasste Mut, schwang mich auf mein Fahrrad, drängte vorbei an einem Wagen, der mitten auf der Straße stand, als wollte er mir den Weg dorthin versperren.

Ich fuhr vorbei, an Kinderspielplätzen, an kleinen Jungen, die mir hinterherriefen, bis zu einer Stelle, die nur knapp 30 Zentimeter breit war, darunter eine Schlucht, wie in einer Bergwüste. Unter mir Wespen, über mir auch. Panische Angst abzustürzen. Schnitt. Ich saß mitten in eine Art Bürocontainer. Um mich herum Personal. An die Unterhaltung dort, kann ich mich nicht erinnern.

Ich erwachte mit angestauter Wut, die mich noch lange in den Tag begleitete. Das fühlt sich nicht gut an.

 

 

Stillstand

Wie Wiederholungen kommen sie mir vor. Situationen, in denen Hunde hinter meinem Rücken beginnen sich anzukläffen, und ich zusammenschrecke. Wege, bei denen ich mich ständig umdrehe, um zu sehen, wer hinter mir läuft. Momente im Dunkeln, in denen ich einfach nach Hause rennen möchte. Noch immer kann ich nicht auf die Gefühle, von dieser einen Nacht zugreifen. Mein Körper scheint noch nicht bereit, es zu ertragen. Absolut im Verdrängungsmodus.